Handelsrichter − Wirtschaftskompetenz für die Justiz
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Объединение судей по торговым делам − Компетенции по торговым вопросам в юстиции
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Fortbildung im LG Berlin – Wirtschaftsstrafrecht

03.06.2015

Zunächst sammelten sich die Mitglieder der Vereinigung der Handelsrichter in der imposanten Eingangshalle des geschichtsträchtigen Gebäudekomplexes ‘Kriminalgericht’ Moabit. Dort startete die Führung durch das Gebäude bis in den Schwurgerichtssaal 700, in dem eine Podiumsdiskussion folgte:

‘Wirtschaftsstrafrecht – Einblicke in die Arbeit der Wirtschaftsstrafkammer’ mit deren Vorsitzenden Herrn Heymann, Frau Dr. Schlosser, Herrn Dr. Sprockhoff, Herrn Volkens und Herrn Willnow

Moderation: Herr Dr. Bernd Pickel, Präsident Landgericht Berlin

Dargestellt und diskutiert wurde die Tätigkeit der Strafjustiz und die Herausforderungen in komplexen Wirtschafts- sowie Steuerstrafsachen, die durch die ausgewerteten und zunehmenden Steuerinformationen aus dem Ausland eine besondere Aktualität aufweisen.

Das Kriminalgericht wurde 1902–1906 mit einem Finanzaufwand von 8,5 Millionen Reichsmark als monumentaler Bau mit 21 Gerichtssälen für die Berliner Justizneben dem 1875 gebauten Untersuchungsgefängnis errichtet.Das Kriminalgericht Moabit gehört zu den architekturgeschichtlich bedeutendsten Bauten der wilhelminischen Ära. Mit seinen schlossähnlichen Ausmaßen, der imposanten Gestaltung und der prachtvollen Treppenhalle erregte das Gerichtsgebäude großes Aufsehen. Um die Justiz, die dritte Staatsgewalt, angemessen zu repräsentieren, wurde der neobarocke Baustil und anstelle von Backstein der dunkle Sandstein gewählt. Vorbild war die friderizianische Architektur des 18. Jahrhunderts. Ein Eckgebäude wurde mit einer 48 m hohen Kuppel hervorgehoben, hinter der sich ein Wasserbehälter für die Wasserversorgung des Gerichtsgebäudes verbirgt. Das Kriminalgericht war als erstes elektrisch beleuchtetes Gebäude in Berlin ein technisches Meisterwerk seiner Zeit, mit eigenem Kraftwerk, Lasten- und Personenaufzügen, Zentralheizung und Ventilatoren für Lüftungsschächte. Ebenfalls eingebaut wurden eine eigene Telefonanlage. Hervorzuheben ist auch das umfassende Gänge- und Lüftungssystem, das es ermöglichte, die Angeklagten von dem anliegenden Untersuchungsgefängnis ohne ansonsten mögliche Kontaktaufnahme zu den Zeugen nichtöffentlich zu den Gerichtssälen zu führen.

In dem einst für 900 Beschäftigte errichteten Gebäudekomplex arbeiten heute rund 3000 Personen, darunter rund 270 Richter, 80 Rechtspfleger und 350 Staatsanwälte. Es sind dort rund 1300 Untersuchungshäftlinge aus 80 Nationen untergebracht. Mit Besuchern, Zeugen und anderen ‘Prozeßbeteiligten’ betreten täglich rund 6.000 Personen das mit 16.000 Quadratmetern Grundfläche größte Gerichtsgebäude Europas.Im Jahr gehen etwa 60.000 neue Strafverfahren ein, hinzu kommen rund 100.000 Vorgänge von „sonstigem Geschäftsanfall“ wie Strafbefehle und Vollstreckungen, sowie etwa 24.000 Bußgeldsachen.

Zu den bekanntesten im Kriminalgericht Moabit verhandelten Fällen gehören die Prozesse

  • des Hauptmanns von Köpenick,
  • des Kaufhauserpressers Arno Funke alias Dagobert,
  • wegen der Attentate auf die Diskothek La Belle und auf das Restaurant Mykonos,
  • der Bankräuber Gebrüder Sass,
  • im Zuge des Terrorismus der 1970/80er Jahre
  • des Schiedsrichters Hoyzer sowie des Fritz Teufel,
  • gegen Mitglieder des Zentralkomitees der SED nach der deutschen Wiedervereinigung in 1990, insbesondere dessen Generalsekretär Erich Honecker und den früheren DDR-Minister für Staatssicherheit Erich Mielke,
  • des Berliner Bankenskandals in 2001, dem die erstekomplette staatliche Risikoabschirmung der damaligen Bankgesellschaft Berlin folgte.

Die Mitglieder der Vereinigung konnten den Gang besichtigen, in dem die Angeklagten vom Untersuchungsgefängnis in gesicherten Gängen direkt in den Gerichtssaal geführt werden.

Der historische Schwurgerichtssaal 700 enthält einige Meter oberhalb des Richtertisches die Besonderheit einer Kaiserloge, die Kaiser Wilhelm II allerdings nicht genutzt haben soll. Trotzdem wurde damit architektonisch und für jeden Prozeßteilnehmer sichtbar in Stein gegossen, dass auch im aufgeklärten Absolutismus des Monarchen Kaiser Wilhelm II die Gewaltenteilung nicht galt. In Deutschland wurde die Gewaltenteilung erst mit der Weimarer Reichsverfassung 1919 eingeführt. An der Decke des historischen Schwurgerichtssaal 700 steht ingoldener Schrift der im antiken Griechenland aufgestellte Grundsatz “Suum Cuique”, jedem das Seine. Ein Schriftzug, den später der Nationalsozialismus ab 1933 in sein verbrecherisches Gegenteil verkehrte.

Im Saal 700 ist seit den Terrorismusprozessen der 1970er Jahre die Anklagebank mit drei Zentimeter dicken Panzerscheiben verglast.

Fotos: PICTUREBLIND – Jürgen Sendel