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Führung durch das Kammergericht, das Oberlandesgericht Berlin am Kleistpark, mit Besichtigung des historischen Plenarsaals

07.07.2015

Das Kammergericht ist als Oberlandesgericht des Landes Berlin das höchste Berliner Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Im vierstufigen Gerichtsaufbau Deutschlands steht das Kammergericht über den Amtsgerichten und dem Landgericht, aber unterhalb des Bundesgerichtshofs.

1. Kammergericht

Das Kammergericht ist das älteste deutsche Gericht mit bis heute ununterbrochener Tätigkeit. Urkundlich erwähnt wurde es erstmals 1468. Von Friedrich II. (Brandenburg) gegründet, übte es als Hofgericht bis zum Jahr 1735 in seinen „Kammern“ die oberste Gerichtsgewalt aus. Es entstand wegen des kurfürstlichen Ius de non appellando (lat. Recht, dass gegen Gerichtsurteile keine Rechtsmittel an die Gerichte des Reichs möglich waren). Diese Institution diente als oberste Appellationsinstanz wegen der fürstlichen Gerichtsgewalt, die im Herrschaftsbereich des Kurfürsten anstelle der kaiserlichen Reichsgerichte (insbesondere des ab 1495 eingerichteten Reichskammergerichts) gegründet wurde. Sie war damit die höchste Gerichtsinstanz in Brandenburg bzw. im späteren Königreich Preußen. Von 1698 bis 1735 hatte das Kammergericht seinen Sitz im (alten) Collegienhaus an der Brüderstraße in Cölln. Im Jahr 1735 wurde es unabhängig vom (inzwischen königlichen) Hof und bezog das (neue) Kollegienhaus in der Lindenstraße in Alt-Berlin. König Friedrich Wilhelm I. hatte hier durch Philipp Gerlach das erste große Verwaltungsgebäude seiner Regierungszeit erbauen lassen, um die verschiedenen zivilen, strafrechtlichen, geistlichen und ständischen Gerichte unter einem Dach zusammenzufassen. Seit dem späten 20. Jahrhundert ist das barocke Kollegienhaus Teil des Jüdischen Museums Berlin.
Ein bekannter Kammergerichts-Prozess aus dem 18. Jahrhundert war das Revisionsverfahren des Predigers Johann Heinrich Schulz (genannt Zopfschultz) gegen seine Suspendierung vom Dienst. In einem anderen Prozess, der als Indiz für die Unabhängigkeit des Kammergerichts gilt, unterlag König Friedrich Wilhelm III., welcher der Stadt Berlin die Kosten für das Pflastern der Wege aufbürden wollte.
Eines der bedeutenden Verfahren des Kammergerichts im 19. Jahrhundert war der Polenprozess. Er war der erste öffentliche politische Prozess Preußens, fand aber wegen der großen Zahl der Angeklagten nicht im Gerichtsgebäude statt, sondern im neuen Zellengefängnis Lehrter Straße. Ab 1853 war das Kammergericht für alle Kapitalverbrechen in Preußen zuständig.

Der Kammergerichtsbezirk umfasst heute das vollständige Gebiet des Bundeslandes Berlin.
Zu dem Bezirk gehören ein Landgericht und elf Amtsgerichte. Die Strafgerichte erster Instanz sind im Gebäude des Kriminalgerichts Moabit beim Amtsgericht Tiergarten bzw. beim Landgericht Berlin eingerichtet, Familiengerichte bestehen bei den Amtsgerichten Pankow/Weißensee, Tempelhof-Kreuzberg und Schöneberg. Das Gericht für Landwirtschaftssachen ist beim Amtsgericht Schöneberg eingerichtet, das auch erstinstanzlich für alle Abschiebehaftsachen zuständig ist.
Im Bezirk des Kammergerichts sind 13.739 Rechtsanwälte zugelassen (Stand: 1. Januar 2014).

Das Kammergericht ist das oberste Gericht für Straf- und Zivilangelegenheiten im Land Berlin. Es steht über den Amtsgerichten und dem Landgericht. Die 144 Richter verhandeln u.a. politische Strafsachen wie Spionage und Terrorismus sowie Berufungen, Beschwerden, Revisionen, unterhaltsrechtliche Fragen. Sie können Urteile und Beschlüsse anderer Gerichte aufheben. Das Gericht wird von der Präsidentin Monika Nöhre geleitet und ist Ausbildungs- und Prüfungsbehörde für die Rechtsreferendare im Land Berlin.

Von 1951 bis zum Ende der Deutschen Teilung hatte das Kammergericht, zuständig lediglich für West-Berlin, seinen Sitz in der Witzlebenstraße 4/5 in Berlin-Charlottenburg im Gebäude des vormaligen Reichsmilitärgerichts.
In dem Haus sind die Akten aller hier stattgefundenen Verfahren aufbewahrt worden, die jedoch zu großen Teilen im Verlauf des Zweiten Weltkriegs vernichtet wurden oder als verschollen gelten. Eine umfangreiche Bibliothek mit rund 120.000 juristischen Büchern befand sich ebenfalls im Haus, von denen etwa die Hälfte von der Staatsbibliothek Berlin anfangs der 1950er Jahre auf ein Bauerngehöft im Brandenburgischen ausgelagert wurde, wo sie in Vergessenheit geriet. Im 21. Jahrhundert wiedergefunden und in das Gebäude zurückgebracht, konnten die Bücher mit Hilfe von 340.000 Euro aus Lottomitteln restauriert werden. Sie werden derzeit gesichtet und stehen dann wieder Juristen und Wissenschaftlern zur Verfügung. Die Bestände werden in einem Bibliothekskatalog zusammengefasst. Das älteste bisher aufgefundene Dokument ist eine Gerichtsordnung aus dem Jahr 1533.

Juristen am Kammergericht:

  • Johann Weinlob, Kanzler in Brandenburg und erster Vorsitzender des Kurbrandenburgischen Kammergerichts
  • Johann Weinlob († 1558), Vorsitzender des Kammergerichts, Kurbrandenburgischer Kanzler
  • Samuel von Cocceji (1679–1755), Direktor
  • Carl Anton Wilhelm Freiherr von Schleinitz (1751–1807), Präsident
  • Carl Friedrich von Beyme (1765–1838), Wirklicher Geheimer Staatsminister (Justiz), Mitglied des Staatsrates, Präsident
  • Wilhelm Heinrich Wackenroder (1773–1798), Assessor
  • Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (1776–1822), Richter, ab 1816 Kammergerichtsrat
  • Julius Eduard Hitzig (1780–1849), Kriminalrat, Director des Inquisitoriats, Mitglied im Criminal-Senat
  • Wilhelm Heinrich von Grolman (1781–1856), Präsident
  • Otto von Oehlschläger (1831–1904), Präsident (1885), später Präsident des Reichsgerichts
  • Benno Mugdan (1851–1928), Richter
  • Heinrich Delbrück (1855–1922), Richter, später Präsident des Reichsgerichts
  • Arnold Freymuth (1872–1933), Senatspräsident
  • Eduard Tigges (1874–1945), Kammergerichtspräsident
  • Adolf Baumbach (1874–1945), Senatspräsident am Kammergericht
  • Heinrich Hölscher (1875–1947), Präsident des Kammergerichtes 1933 bis 1945
  • Friedrich Walter Jung (1890–?), Generalstaatsanwalt
  • Hans-Joachim Rehse (1902–1969), Richter
  • Günter von Drenkmann (1910–1974), Präsident, ermordet von Terroristen in der Zeit der Berliner Mauer
  • Rudolf Wassermann (1925–2008), Richter
  • Diether Dehnicke (* 1925), Präsident 1983–1990
  • Egbert Weiß (* 1931), Kammergerichtsrat 1972–1993
  • Gisela Knobloch (* 1936), Präsidentin 1990–2001, erste Präsidentin in der Geschichte des Kammergerichts
  • Monika Nöhre (* 1950), Präsidentin seit 2002

2. Geschichte des Bauwerks in der Elßholzstraße

Die Architekten Paul Thoemer, Rudolf Mönnich sowie der Regierungs- und Baurat Carl Vohl, der die Bauleitung innehatte, entwarfen im Auftrag des Justizministeriums im Königreich Preußen ein den gewachsenen Anforderungen entsprechendes neues Dienstgebäude. Einige Dokumente nennen weitere Beteiligte, darunter Jean Fasquel, ein Baumeister aus Charlottenburg. Als Standort hatten die Planer das Gelände des ersten Botanischen Gartens in Schöneberg ausgewählt. Dessen gläserne Gewächshäuser am Westrand des gleichzeitig entstehenden Heinrich-von-Kleist-Parks wurden 1902 abgetragen und im Jahr 1909 erfolgte die Grundsteinlegung für das Gericht. Nördlich und südlich des neuen Gerichtsgebäudes reservierte man Freiflächen für eventuelle Erweiterungsbauten.
Die Eröffnungsfeier des Kammergerichtsgebäudes fand am 18. September 1913 statt, zu der zahlreiche Gäste und 52 Ehrengäste geladen waren, darunter Geheimräte, Oberjustizräte, Direktoren und Gerichtspräsidenten. Der damalige preußische Justizminister Max von Beseler übergab den Neubau nach dem Auftritt eines Blasorchesters symbolisch an den Kammergerichtspräsidenten Wilhelm Heinroth.

Nutzung bis April 1945:
Vom August 1944 bis Januar 1945 tagte im Plenarsaal des Kammergerichts der Volksgerichtshof. In dieser Zeit fanden unter anderem die von Roland Freisler geleiteten Schauprozesse gegen die Beteiligten des militärischen Widerstandes vom Attentat des 20. Juli 1944 statt.

Nicht-öffentliche Nutzung durch die Besatzungsmächte:
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs beschlagnahmten die vier Siegermächte das Gebäude und brachten hier verschiedene administrative Einrichtungen unter, an erster Stelle den Alliierten Kontrollrat. Am 18. Oktober 1945 konstituierte sich im Plenarsaal das internationale Militärtribunal für die Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse. Die vereidigten Richter erhielten die Anklageschriften zur Durchsicht und Vorbereitung auf die Prozesse gegen 24 Hauptkriegsverbrecher. Danach vertagte sich das Tribunal nach Nürnberg, behielt aber gemäß Artikel 22 seiner Charta seinen ständigen Sitz in Berlin. Der Alliierte Kontrollrat verlor seine Bedeutung, nachdem ihn die Vertreter der Sowjetunion im März 1948 aus Protest gegen die Deutschlandpolitik der drei westlichen Besatzungsmächte verlassen hatten. Danach trat er nie wieder zusammen, wurde aber formal erst nach der deutschen Wiedervereinigung aufgelöst.
Die Außenminister der USA, Großbritanniens, Frankreichs und der Sowjetunion tagten Anfang 1954 im Großen Plenarsaal, um über die Zukunft Deutschlands zu verhandeln. In diesen Jahren ging es vor allem um die Frage eines Friedensvertrages, mit dem der Krieg erst offiziell hätte beendet werden können und ob es Wiedervereinigungsgespräche geben solle.
Am 3. September 1971 unterzeichneten die Botschafter der vier Alliierten im Plenarsaal das Viermächte-Abkommen über den Status Berlins, das den Gästen und Einwohnern von West-Berlin zahlreiche Erleichterungen im Reise- und Besucherverkehr brachte. Als letzte gemeinsame Einrichtung nutzte bis 1990 die Alliierte Luftsicherheitszentrale 20 Räume des Gebäudes.

In dem Haus befindet sich seit 1997 (wieder) das Berliner Kammergericht. Zugleich ist es seit 1992 Sitz des Berliner Verfassungsgerichtshofs und der Berliner Generalstaatsanwaltschaft sowie mehrerer Berufsgerichte.

Fotos: PICTUREBLIND – Jürgen Sendel